Dwa Oświecenia. Polacy, Żydzi i ich drogi do nowoczesności

BSB Bayerische StaatsBibliothek MDZ Münchener I ligitâlisieningsZentrLim Digitale Bibliothek Zunz, Leopold, 1794-1886 Gesammelte Schriften Berlin 1875 Jud. 57 d-1/2 urn:nbn:de:bvb:12-bsbll316656-2 XII. Beleuchtung der Théorie du judaisine des Abbé Chiariui. Von Dr. Zunz. Berlin, 1830. In der Haude uud Spener’scheu Buchhandlung (S. I. Joseephy). Zu den noch nicht gereiften Früchten wachsender Civilisation und Staatskunst darf man in den meisten Ländern Europa’s unbedenklich die Angelegenheit der Juden zählen. Beharrliche Verfolgung hat allerdings einer menschlichem Einsicht und die Willkühr dem Gesetz das Feld geräumt; aber es blieben Vorurtheil und Missbrauch zurück, so dass es der Klagen und Beschwerden, gegründeter und ungegründeter Besorgniss auf beiden Seiten nicht ermangelt. Während die Juden ihre Zurücksetzung schmerzlich empfinden, arbeitet mau hie uud da an Gesetzen und Projecten, die ihre Tüchtigkeit an einem Volk bewähren sollen, mit welchem man die seltsamsten Proben, schnell wechselnd, vorzunehmeu gewohnt ist. Zu den Ländern, die in dieser Beziehung auf die besondere Aufmerksamkeit des Gesetzgebers Anspruch machen können, gehört auch das Königreich Polen. Es lebten daselbst vor 5 Jahren unter einer Gesnmmtbevölkerung von 3 Millionen 850.159 Seelen, 341,125 jüdische Einwohner (88 unter lOOO); in 3 Städteu befanden sich allein Juden (1163); in 117 Städten mehr Juden als Christen (von denen Lublin mit 6697, 2 Städte mit 3000 —3300, 15 mit 2000—3000, 41 mit 1000—20O0 Juden, 58 mit einer weniger als 1000 betragenden jüdischen Bevölke- kerung); in 310 Städten weniger Juden als Christen, in 22 keine Juden. Die Volkszahl der Juden belief sich i. J. 1826 auf 368,773 Köpfe (184,324 männliche, 184,449 weibliche), von denen 73,393 auf dem Lande, 295,380 in Städteu wohnten, - 272 - uud zwar 27,648 in Warschau, woselbst sie etwa 27 Proc. der Gesammt-Bevölkerung dieser Hauptstadt ausmaqbten. Zwei Jahre darauf war die Zahl der sämintlicken Einwohner auf 4 Millionen 33,289 (mit Ausschluss des Militairs), die der Juden auf 384,263 Seelen (etwa 93 unter 1000) gestiegen, von denen aber beinahe der vierte Theil (93,088) keinen bestimmten Erwerbszweig angeben konnte. Warschau euthielt damals 136,554 Seelen, worunter 30,446 Juden (22 unter 100). Einem wohl organisirten Staate kann, schon aus Fürsorge für die übrigen Unterthanen, das Schicksal des elften Theils seiner Bevölkerung nicht gleichgültig sein, zumal bei einem Zustande der Dinge wie in Polen, wo die Rohheit der Bauern, der Fanatismus der jüdischen Secte der Chasidim uud die meist barbarische Erziehung der jüdischen Knaben — um die der Mädchen kümmert man sich fast gar nicht — sich zu Âriuuth und Druck gesellen. Auch hat die russische Regierung bereits ihr Augenmerk darauf gerichtet, um, wo möglich, in diesem Zustande eine heilsame Aenderung vorzuberciten. Mittelst kaiserlichen Decrets vom 22. Mai 1825 ist ein aus Christen bestehendes sogenanntes Israeliten-Committee gegründet worden, welches am 15. November des folgenden Jahres in Warschau eine Rabbinen-Schule eröffnete, in der in einem fünfjährigen Cursus in Bibel, Talmud, Moral, Bered samkeit, Geschichte, Geographie, Mathematik, hebräischer Grammatik, der polnischen, deutschen und französischen Sprache Unterricht ertheilt wird. In der Folge sollen nur die aus dieser Anstalt hervorgegangeueü Subjecte fähig sein , an den jüdischen Elementarschulen, die man im ganzen Königreiche auzulegen gedenkt, das Amt von Lehrern zu bekleiden und den Gemeinden als Rabbiner vorzustehen. ln dem gedachten Institute befanden sich vor zwei Jahren 24 Pensionäre — 12 auf Kosten der Regierung — und 26 Schüler, während die 215 Talmud-Schulen in Warschau 2482 Schüler zählten. Bis zum Schlüsse des vorigen Jahres wurden ausserdem vier Elementarschulen von 298 jüdischen Schülern besucht. Eine ebendaselbst vor fünf Jahren errichtete Mädchenschule hat 60—80 Schülerinnen aus der ärmeren Klasse der jüdischen Einwohner. Auf Veranstaltung des genannten Committees ward am ersten Mai 1828 auch ein Lchrcursus 273 — rabbinischer Alterthümer für zehn junge Leute christlichen Glaubens eröffnet, die sich einst mit der Organisation der Israeliten beschäftigen sollen, und aus denen vermuthlich das Committee sich in der Folge ergänzen wird. Sie hören 4 Jahre Lehrvorträge über hebräische, talmudisclie und rab- binische Sprache, jüdische Geschichte, und erlernen die Mundart der polnischen Juden; insbesondere wird eine Vergleichung des Geistes des schriftlichen Gesetzes mit dem des mündlichen vorgetragen, damit die Studenten die Veränderungen würdigen lernen, welche angeblich das Judenthum mit den biblischen Vorschriften vorgenoinmen hat. Das Committee ist nämlich bemühet, direct und indirect dahin zu wirken, dass die Juden dem mündlichen, wenigstens einem Theil des mündlichen Gesetzes abwendig würden, und beschloss zu diesem Behuf eine französische Uebersetzung des Babylonischen Talmud, für deren Anfertigung die russ. Regierung im Juli v. J. dem Abbé Chiarini (Mitglied des Committee und Professor an der Warschauer Universität) eine Unterstützung von 12000 Thalern bewilligt hat. Als Vorläufer dieser in 6 Folianten augeküudigten Ver- siön — gegen welche sieh einige Juden in fünf Flugschriften erklärt hatten — hauptsächlich aber als Einleitung in das Wesen des Judenthums, dessen Reform allen diesen Versuchen zu Grunde liegt, ist von dem Abbé Chiarini eine Théorie du judaisme augefertigt worden, die im Januar dieses Jahres in Paris erschienen ist, und folgenden Titel führt: Théorie du judaisme, appliquée ä la réforme des Israelites de tous les pays de l’Europe, et servant en mëme temps d’ou- vrage préparatoire a la Version du Thalmud de Babylone, par fabbé L. A. Chiarini. (Paris und Genf bei J. Barbezat. 1830. Zwei Bände in 8. Erster Band 375 S. Zweiter Band 407 S.) Dieses Werk soll demnach, obwohl zunächst für eine Reform der polnischen Juden bestimmt, doch auch Auskunft und Anweisung zu einer Verbesserung des Judenthums überhaupt geben. Man ist darin zu erweisen bemühet, dass die Juden, die polnischen namentlich, au Uebeln leiden, herbeigeführt durch die Autorität, welche die antisocialeu, menschenfeindlichen, barbarischen Lehrsätze des Talmud, dieser Ilauptquelle des Judenthums, über sie ausüpt; es müssen da- . — 274 - her, durch Unterstützung des Staates, die Juden veranlasst werden, mit Beibehaltung der giften Traditionen, jene schädlichen Principien, allmälig und freiwillig, zu verlassen und zur mosaischen Lehre zurückzukehren. Dies sei direct durch zweckmässige Schulen, in denen ein gehöriger Unterricht in der Bibel und in der hebräischen Grammatik ertheilt wird, und indirect durch eine mit Erklärungen und Widerlegungen ausgestattete französische Uebersetzung des babylonischen Talmud zu bewirken: hierdurch würde jenes dunkle Buch den Gelehrten zugänglicher, und ihnen die Kunst, Juden zu behandeln, leichter gemacht, so dass endlich die Juden zur Beseitigung des den civilisirten Europäern Widerstrebenden sich würden genöthigt sehen, um, nach Verhältniss ihrer fortschreitenden Reform, die bürgerlichen Rechte eingeräumt zu erhalten. Eine nähere Beleuchtung der von dem Verfasser gelieferten Theorie wird dartbun, in wie weit es demselben gelungen ist, uns davon zu überzeugen, dass das Judenthum das Uebel, die Version des Talmud das Heilmittel und die Rückkehr zum Mosaismus die Besserung sei. Das Buch des Abbé Chiarini besteht aus drei Theilen Der erste verbreitet, sich über die Schwierigkeit, das Judten- tliurn zu erkennen, und beurtheilt bei dieser Gelegenheit mehrere darüber erschienene Werke; der zweite giebt die Theorie und der dritte die Reform des als schädlich dargestellten Judenthums. Der erste Band — welcher den ganzen ersten Theil nebst der theoretischen Hälfte des zweiten Theils enthält — schildert in einer Einleitung (S. 5—42) sein Bedauern darüber, dass unter so vielen Denkmälern des Alterthums, gerade der Talmud noch keinen Uebersetzer gefunden, — „dieses un- gestalte Chaos, dieser Inbegriff von Irrthum und Vorurtheil, voll von Träumereien eines wahnsinnigen Fanatismus“ (S. 6). Die Schuld solcher Vernachlässigung liege theils an den Juden, die sich einer solchen Arbeit von jeher widersetzt haben, theils an den Nichtjuden, welche nicht nur die Bibel irrthümlich als Glaubensquelle der heutigen Juden betrachten, sondern sich auch von den Schwierigkeiten einer Arbeit dieser Art abschrecken liessen, obwohl eine Version des Talmud nicht bloss dessen gefährliche Wirksamkeit schwächen, sondern 275 selbst die Wissenschaft mit erspriesslichen Notizen bereichern würde (S. 11). Schon hätten die bisher bekannt gemachten Auszüge, namentlich die von Eisenmenger veranstalteten, die Juden genöthigt, einen beträchtlichen Theil der Talmudischen Lehren von sich zu weisen; «also müsste wohl der Erfolg in dieser Beziehung, bei einer vollständigen Bekauutwerdung jenes Buches, ungleich grösser sein. Die Behauptung einiger neuen jüdischen Autoren, dass nicht der Talmud, sondern spätere Compendien die gesetzliche Autorität seien (S. 13—18), oder dass zwischen der Zeit des Talmud und der unsrigen ein Unterschied stattfinde (S. 19- 22) wird zurückgewiesen. Auf ein Verzeichniss der einzelnen Abschnitte des babylonischen und jerusalemischen Talmud folgt der Plan der versprochenen Version, die mit Noten, Kupfern und einer Biographie der vornehmsten talmudischen Lehrer bereichert werden wird. Hierauf tritt der erste Theil (S. 43 —172) uns sogleich mit dem Satz entgegen, dass das Judenthum „noch nicht entdeckt“ sei; dessen wahrer Charakter müsse noch ergründet werden, und die jüdische Nation sei uns unbekannter als eine Horde Nomaden in fernen Welten. Die jüdischen Schriftsteller seien parteiisch; die getauften Juden, selten unseres Zutrauens würdig, lieferten eine Karricatur, aber keine Schilderung des Judenthums; die von Glaubenseifer oder Mitleid vom rechten Wege fortgeschleuderten Nichtjuden füllten die Lücken ihres magern Wissens mit seichtem Geschwätz aus. Zur Entdeckung des Judenthums sei eine hinreichende Kennt- niss des Talmud, in welchem es versteckt liege, nöthig (S. 49), allein hier treffe man auf fünf Schwierigkeiten. Die erste ist die Sprache des Talmud, welche, ohne Grammatik und Vocale, und voller Abkürzungen und geheimnissvoller Phrasen, noch schwieriger als das Chinesische sei (S. 52). Eine zweite Schwierigkeit biete die Interpretation dar. Ueber masoretische Principien u. dgl. wird aus Buxtorf Einiges beigebracht — wobei das Lateinische mit keiner Uebersetzung versehen vorkommt — worauf der Verfasser (S. 61 etc.) die Ausleguugs- arten im Talmud auf Halacha und Agada zurückführt. „Man nennt im Talmud Halacha jede daselbst wiederholte oder erläuterte Vorschrift des schriftlichen Gesetzes, desgleichen jede ihrer Verzweigungen und Zusätze; Agada ist das geschieht- liehe jener Vorschriften, Verzweigungen und Zusätze, so dass die Ausübung derselben mittelst Beispiele, Erzählungen und anziehender Mährchen dargestellt wird“ (S. 62. 63.) Einige Angaben des Maimonides, Halacha und Agada betreffend, werden verworfen, und die dreizehn exegetischen Regeln des Talmud lateinisch mitgetheilt (S. 64—68). Als die dritte Schwierigkeit wird das Studium der talmudischen Alterthümer betrachtet, über die nur aus jüdischen Ritualien (Minhagim), und zunächst aus Buxtorfs synagoga judaica und Leo de Mo- dena’8 (von Richard Simon ins Französische übersetzten und vermehrten) Beschreibung Auskunft zu erhalten sei. Scharf gesondert von der Gemara wird die Mischna, welche letztere, als Inbegriff der jüdischen Alterthümer aus der Periode zwischen dem babylonischen Exil und der gänzlichen Zerstreuung, eine grössere Verwandtschaft mit dem biblischen Inhalt habe, und müssten darüber Josephus und Lunds Jüdische Heilig- thümer zu Rathe gezogen werden (S. 74). Uebrigens finde sich der Hang zu Fabeln und Bildern und die Polemik des Talmud auch bei anderen orientalischen Nationen und im Mittelalter. In der reichen rabbinischen Literatur stellt sich dem Verfasser die vierte Schwierigeit entgegen: sowohl der Besitz als das Studium der zahllosen Auslegungen und Bereicherungen der Bibel und des Talmud, welche man in „verbindliche“ (kanonische) und in „nicht verbindliche“ eiu- zutheilen habe (S. 80), sei mit Schwierigkeiten verknüpft. Die letzte Schwierigkeit bieten die jüdischen Secten dar, deren Principien Einfluss auf die Interpretation der Bibel üben. Es wird einiges über die Chasidim gesagt, und nach Maimon, Buxtorf und Peter Beer über kabbalistische Auslegung ein Weniges vorgetragen. Beiläufig erfahren wir (S. 85) die Ursache der Meinungs-Verschiedenheit zwischen den Lehrern der Mischna, Hillel und Schammai. Hierauf geht der Verfasser zu den Leistungen der beiden Buxtorfe, Raymund Martins, Kidders und Eisenmengers über. Buxtorfs rabbin. Lexicon erndtet Lob, weil es viele schädliche talmu- dische Stellen und Auskunft über talmudische Antiquitäten liefere; indessen sei es zu dick — obgleich einige Wörter fehlten, die der Verfasser nachtragen will — und polemisire zu wenig (S. 94 —96). Von Raymund Martins „Glaubensdolch“ 277 (aus dem 13. Jahrhundert), den im 17. Jahrhundert Voisin undCarpzov bereicherten, tauge nur der zweite Theil etwas. Grösseres Verdienst wird der Demonstration of the Messias des Bischofs Kidder (London 1700) zuerkannt; Kidder, der den Talmud gar nicht, aber den Charakter der Juden desto besser gekannt, behaupte, man solle die Juden weder verfolgen noch begünstigen (S. 99—108). Er empfiehlt indess den Regierungen, die Juden zur Anhörung christlicher Predigten zu zwingen, und junge Leute für den Controvers mit jüdischen Gelehrten heranzubilden. Die Palme wird aber Eisenmengers Entdecktem Judenthume gereicht, in welchem man die interessanteste Bibliothek und die besten Aufschlüsse über den Geist des Judenthums habe (S. 109—116); überdies lehre es den Censor die zu verbietenden Bücher und die auszustreichenden Stellen kennen (S. 114), w’ovoh der Verfasser das Verzeichniss anzufertigen verspricht. Als Fehler werden dem Eisenmenger vorgerückt: Bitterkeit und Hohn im Ausdruck, blinder Eifer, die Juden zu bekehren; ausschliessliche Mittheilung des Gehässigen, Auffrischung des Veralteteten und Vergessenen. Oefter habe er die Stellen aus dem Zusammenhänge gerissen, Bildliches im buchstäblichen Sinne genommen; alle Autoritäten gelten ihm gleich und die Halacha übergehe er fast gänzlich (S. 117—123). Ueberhaupt seien die bisherigen Streitschriften zu unmethodisch zu Werke gegangen. Demnächst kommen einige Geschichtschreiber au die Reihe. Basnage wird wegen seiner guten Kenntnisse in der Cabbala gerühmt (S. 126); indess habe er von der Gemara nichts verstanden, die doch bei den Juden in höherem Ansehn stehe als die Bibel (S. 131—135). Was Jost’s Geschichte der Israeliten betreffe, so werde man, selbst unter den Juden, schwerlich einen Schriftsteller finden, der eine vollkommnere Kennt- niss vom Judenthum besitze (S. 137). Bei Erwähnung der jüdischen Geschichten von Hannali Adams und dem, dieser nachschreibenden Ch. Malo (Paris 1826) werden die langen Schilderungen der über die Juden ergangenen Verfolgungen getadelt (S. 139—141). Den Autoren, die über eine Reform der Juden geschrieben, wird meist alle Kenntniss des Judenthums abgesprochen, dieselben (Dohm u. A.) hätten aus anzuerkennender Menschenliebe den Juden gleiche Rechte vindi- zirt, aber ihre über die Juden aufgestellten Prinzipien seien unrichtig (S. 144). Die Gegner einer jüdischen Reform (Michaelis u. A.) wären indess auch zu weit gegangen, obwohl sie mehr von der Sache verstanden als die Reformirer (S. 147—154). Die Wahrheit läge in der Mitte; eine Reform der Juden müsse mit einer Reform des Judenthums anfangen, letztere sei möglich, wenn auch mehrere neue jüdische Autoren aus Rücksichten sich nicht deutlich darüber aussprechen (S. 156), und erst nach deren Bewerkstelligung mögen Dohms Pläne realisirt werden. Durch blosse, noch so getreue Auszüge aus dem Talmud, wird das Judenthum nicht entdeckt, da viel davon noch gar nicht niedergeschrieben sei, sondern in den Köpfen der Rabbiner sich erzeuge, manches andere (das von der Censur gestrichene) von den Juden auswendig gelernt werde. Dieserhalb muss der Talmud vollständig übersetzt werden (S. 157—168). Beiläufig wird bemerkt, dass der Talmud etwa 500 gute Lehrsätze liefere (S. 169), und dass die vorzutragende Theorie des Judenthums vornehmlich auf die polnischen Juden passe (S. 171). Der Verfasser fand den jüdischen Gottesdienst in Frankfurt an der Oder würdevoll, in Paris etwas theatralisch, und in den jüdischen Schulen zu Aachen und Paris zum ersten Male eine Bibel ohne Raschfs Commentar (S. 172). Der zweite Theil will das Judeuthum nicht sowohl nach seinem religiösen Cultus, als nur nach seinen antisocialen Lehrsätzen und schädlichen Tendenzen betrachten. Es wrerden (S. 178) acht Dinge aufgezählt, die den Geist des Judenthums ausmacheu, nämlich: 1) Eine gewisse Anzahl Bücher und Lehren mit unbeschränkter Autorität, um deren Willen der Fanatismus sogar Spott und Leiden liebt; 2) Glaubensartikel, heilige Gebräuche und Ueberlieferungen von unendlicher Mannigfaltigkeit und nach Jedermanns Belieben; 3) die fast ausschliesslich auf das mündliche Gesetz beschränkte Erziehung der Knaben, Vernachlässigung der Mädchen und Zurücksetzung der Frauen; 4) Neigung zu Argwohn, Betrug und List; 5) Anhänglichkeit au Spitzfindigkeiten und Sophistereien zum Nachtheil des Gesetzes; Werthschätzuug der Vorurtheile, Sinnbilder und Fabeln als Grundsätze der Moral und des Glaubens; 6) Hochmuth, Hass und Unduld- samkeit gegen Nichtjaden, aber aus Furcht ein Bestreben, solche Gesinnungen in Räthsel zu hüllen; 7) eine dem Staate liachtheilige, fortdauernde Reaction gegen die Verfolgungen und den Druck; 8) unstätes Leben, Handelsgeist, Liebe zum geringen Gewinne und eine bis zur Unverschämtheit gesteigerte, dem Staate aber nicht frommende Industrie. Diese „acht Maximen“ sucht der Verfasser in dem ferneren Inhalt dieses Bandes (S. 180 — 372) theils durch Citate aus jüdischen Quellen, theils durch Angaben über das Leben der polnischen Juden zu begründen, und zwar die erste Maxime S. 180—210, die. zweite S. 211—228, die dritte S. 228—260, die vierte 8. 261—266, die fünfte S. 267—287, die sechste S. 287—321, die siebente S. 322—359, die achte S. 360—372. Vorläufig tlieileu wir daraus Folgendes mit: Nach wenigen Zeilen über Samaritaner und Karäer werden 1(8. 182 etc.) ein und zwanzig Werke als die kanonischen Schriften der rabbinischen Juden aufgeführt, unter andern die Novellae des Meier Schiff, ehemaligen Rabbiners zu Fnlda, und das (ungedruckte und fast unbekannte) Jalkut des Machir. Die Chasidim verehren vier Bücher: Sohar, Bahir, Jezira und Rasiel; sie erkennen als ihre Lehrer an: Masorethen, Cabbalisten und sieben Engel (S. 196, 198, 200). Der Fanatismus für den Talmud wird mit 6 talmudischen Stellen und einer lateinisch, nach Buxtorf, vorgetragenen Geschichte erwiesen, die ursprünglich aus dem Kaftor waferach (das Â. 1581 erschienen ist) stammt und ausführlich bei Eisenmenger (Th. 2 S. 622 etc.) vorkommt. Den Rabbinen und Cabbalisten wird (S. 219) vorgeworfen, dass sie zwischen Gebräuchen und Glaubenssätzen keinen Unterschied anerkennen, und die Zahl der Ceremonien vermehrt haben. Aus den, meist Maimons Lebensbeschreibung entlehnten, Mittheilungen über« die jüdische Erziehung in Polen erfahren wir, dass die polnischen .Juden sich einer ganz besonderen Schrift bedienen, die wie das Hebräische von der fechten zur linken geschrieben wird (S. 249). Die Israelitischen Mädchen sind nicht selten schöner als die Christinnen, aber „verbergen oft, der wilden Frucht gleich, unter einer verführerischen Aussenseite, einen herben unschmackhaften (8. 252). Die verheiratheten Frauen putzen sich nur 2ü den Hauptfesttagen (S. 259); „faul in ihrer Wirthschaft, nachlässig in der Erfüllung mütterlicher Pflichten, ihren Männern wenig zugethan, und. beschimpft in Ansehung der sanften Täuschungen des Lebens , haben sie mit einem Kopf voller Vorurtheile, von dem Menschen nur die Gestalt, und auch diese stösst oft durch Hässlichkeit und unerträglichen Schmutz zurück.“ Die Reaction (S. 322 etc.) ist dreifacher Art: 1. eine religiöse, in der Begründung des Dogma, Einrichtung der Gebete und in der jüdischen Polemik; 2. eine politische, die nicht bloss durch Wucher und Bestechung, sondern sogar durch die Unterwürfigkeit der Juden sichtbar werde (S. 337 etc.); 3. eine verbrecherische (S. 345 etc.). Der Verfasser glaubt, die Juden dürften den Christen bestehlen, in einer Lebensgefahr umkommen lassen und ihm das Verlorne behalten. Dass die Juden ehemals zu Ostern Christenkinder geschlachtet haben, sei nicht abzuläugnen (S. 355), zumal da in Warschau, 2 Tage vor Ostern des Jahres 1827, einige Juden aus Scherz einen Christenknaben in einen Koffer gesteckt hätten. Indess wird die Beschuldigung der Brunnenvergiftungen als ungegründet eingeräumt. Der zweite Band, der den practischen Theil der ganzen Untersuchung ausmacht, stellt zur Unterstützung obiger acht Maximen vier Regeln auf — deren Aufzählung den zweiten Theil (S. 2—119) beschliesst, — kraft welcher den Einwürfen der jüdischen Gelehrten die Spitze geboten werden könne. Die erste Regel (S. 2—41) entwickelt Wesen und Ursprung der Halaeha; die zweite (S. 43—56) den Charakter der Agada; die dritte (S. 57—92) soll durch Erläuterung einzelner (acht) Fälle die Lücken in der Ausführung der „Maximen“ aus- füllen, zumal da bei der in den rabbinischen Schriften herrschenden Unbestimmtheit, jene Maximen oft zweifelhaft erscheinen dürften. Es wird dosshalb gelehrt, wie mau sich zu verhalten, wenn über die Autorität eines religiösen Buches die jüdischen Autoren selber nicht einig sind (S. 68); auch Bemerkuegen mitgetheilt, über die das Betragen gegen Nicht- juden betreffenden Vorschriften (S. 57—88). In der vierten Regel wird dargethan, dass der Gebrauch oder die Praxis die in den gesetzlichen Vorschriften geltende Theorie gemeiniglich modifizirt, hierdurch seien die Abweichungen in neuerer Zeit und zum Theil die Verschiedenheit der Juden verschie deuer Länder erklärlich. Den deutschen Juden wird (S. 1()2) nachgerühmt, dass sie weit mehr als den Talmud die Bibel studiren. Die französischen Juden sollen eine unhaltbare Reform angenommen haben. Der Verf. theilt die Juden (S. 106) in 1. Reiche und Arme, 2. Gelehrte und Unwissende, 3. Fromme und Epicuräer, und meint, die Regierung könne am meisten auf die Annen, die Unwissenden und Epicuräer rechnen (8. 108), jedoch gehe dies nur die polnischen und russischen Juden an, die um einige Jahrhunderte hinter den Juden anderer Länder zurück stehen (8. 102. 109). Der dritte Theil (S. 121—342) sucht endlich das Problem der Reform zu lösen; man bemühet sich darin zu erweisen, dass der Mosaimus sich der Wiedergeburt des jüdischen Volkes nicht widersetze, und auseinanderzusetzen, worin dieselbe bestehe und wie sie zu erzielen sei. Die Auslegung der Bibel sei bei den Juden nichts als blosse Copie des Talmud und Nachahmung der dort befolgten Hermeneutik; als Belag werden 40 Stellen aus Raschi’s biblischen Coinmentarien französisch mitgetheilt (8. 127 —149). ln diesen Commen- tarien werde Geschichte als Gesetz und die Handlungen der Menschen als der Wille Gottes betrachtet; es sei nun die Aufgabe der Reformatoren, die Juden von der talmudischen Autorität zu befreien und — mit Beibehaltung einer Traditioneu- Auswahl (8. 195) — dem biblischen Judenthum oder Mosais- rous zuzuführen (8. 152), indem selbiger die Liebe des Nächsten und des Fremden (8. 154—161) und Gehorsam gegen die Autorität des fremden Staates (8. 163—166) gebiete, ja sogar den Juden empfehle, sich in den Ländern, wo sie wohnen, ansässig zu machen. Nur die Tahuudisteu haben den Juden ausschliessliche Beschäftigung des Kleinhandels uudVermeiduug der Seereisen empfohlen (8. 167). Die Bibel habe nichts gegen Wissenschaften, Künste, Handwerk und Landbau obwohl auch nach dem Talmud die Juden ausserhalb Palästina Ackerbau getrieben (8. 173), — selbst nichts gegen die Uebcr- nabine von Militairdienst (8. 174—180), und würden die Juden auch bald die Möglichkeit einsehen, die Speiseverbot© zu beseitigen (8. 182). Von der Bildung eigener jüdischen 8oldaten-Coinpagiiien wird abgerathen (8. 181). Diese religiöse Reform, die weder durch Verfolgungen noch durch Be- — • 282 — günstigungei) zu beschleunigen ist (S. 185—194), muss freiwillig vor sich gehen, und zwei einfache und neue Mittel (S. 197): der grammatische Unterricht im Hebräischen und die Uebcrsetzung des Talmud führen zu dem • gewünschten Ziel. Das erste Mittel ist die directe, das zweite die indirecte Reform. Die directe Reform wird S. 198—280 erläutert. Nach einer Schilderung derjenigen schlechten Jüdischen Erziehung, die dem Talmud ausschliesslich gewidmet ist, werden aus Raschi, dem Talmud und dem Sohar (S. 210—216), in der Auslegung des ersten Verses der Genesis, Proben von der falschen jüdischen Interpretationsweise gegeben. Ein gehöriges Studium des biblischen Textes müsse das Ansehen des Talmud stürzen, indem das heutige Judenthum dem Mosaismus schnurstracks entgegen sei (S. 221—230). Die Rabbiner haben sich überall — noch neuerlich in Warschau — dem richtigen biblischen Sprachunterricht widersetzt (S. 233). Die Juden sollten mit ihren Mitbürgern gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben; denn sie können dem Lande, das sie bewohnen, nur dann völlig zugethan sein, wenn von demselben ihre gesammte Existenz abhängt (S. 235). Jedoch müssten die Juden sich zuvor des Genusses gleicher Rechte würdig zeigen, da ihr gegenwärtiger Zustand keineswegs von erlittenen Verfolgungen sondern von ihrer eigenen Religion herrühre (S. 237), die Emancipation der Juden solle daher stufenweise vor sich gehen, mit der Reform der Masse Schritt haltend (S. 244). Die beiden Hauptzwecke der directen Reform sind: Verbesserung des Unterrichts der Jugend, Verwendung der jüdischen Industrie zum Vortheil des Staates: sie werden durch zehn Mittel befördert: 1. Eine von den jüdischen Gemeinden unterhaltene Anstalt zur Bildung von Rabbinern (S. 246); 2. jüdische Elementarschulen (auch Mädchenschulen), in denen hebräische Grammatik und die Landessprache gelehrt wird. Im Punkt der religiösen Erziehung herrsche völlige Gewissensfreiheit. Den Besuch christlicher Lehranstalten findet der Verf. an Orten, wo die Juden zahlreich sind, nachtheilig (S. 255). 3. Eine eigne Druckerei für rabbinische Bücher unter Aufsicht einer bestellten Censur, woselbst die verpflichtenden Bücher uuverstümmelt, die übrigen aber, wenn sie nichts taugen, gar nicht gedruckt werden 283 sollen. Auch wird eine jüdische Zeitschrift empfohlen (S. 260). Junge Christen sollen zu der Kenntniss des Judenthums erzogen werden (3. 264). 0. Einschränkung der jüdischen Autonomie (S. 267). Die Rabbiner sollen den Bann nur für schwere Vergehungen appliziren, und der Excommunizirte Recours an die Regierung nehmen können. Uebrigens sollen die Verhandlungen des Bes-din oder jüd. Gerichts in der Landessprache und im Beisein eines K. Commissarius geschehen. Die jüdischen Beerdigungs-Vereine, die das frühe Begraben begünstigen, müssen eingehen (S. 270). 6. Ein führung von Geburts-, Sterbe- und Trainings-Registern (8. 271). 7. Bei der Unbekanntschaft der Juden mit dem Ackerbau sollen denen, die sich dem Landbau zuzuwenden geneigt sind, christliche Bauern, doch nur auf drei Jahre, gegeben werden (S. 275). 8. Begünstigung jüdischer Künstler und Handwerker (S. 276i. 9. Verwendung der Juden zum •Soldatendienst; schon aus Furcht vor den Mächtigem werden die Recruten den Eid nicht verletzen (S. 278). 10. Man soll die Juden aufmuntern, fremde Erzeugnisse einzuführen, jedoch bis die „radicale Reform“ eiutritt, ihrem Handel Schranken setzen (S. 280). Demnächst kommt die indirecte Reform an die Reihe. Der Verf. nennt diejenigen, welche das Unglück der Juden zu ihrem Privat vortheil benutzen, eine race infame (8. 285) und bringt die verschiedenen Meinungen über den Zustand der jüdischen Nation unter 8 Classen; übrigens würde das Problem einer dauernden Reform nur durch eine Ueber- Setzung des Talmud gelöst werden, die wenn sie vor hundert Jahren wäre unternommen worden, die Sache schon sehr geiordert hatte (S. 291). Aber die Juden bleiben stehen, weil 816 an dieses Monument des rohen Mittelalters halten, ihr Hass gegen die Christen habe seit dem Mittelalter nicht abgenommen, nur hüteten sie sich vor ßlösscn, da man ihnen jetzt eher beikommen kann; in der That habe Eisemenger schon tüchtig Bresche in die Synagoge geschossen (3. 292 — 297). Der •sonstige wissenschaftliche Gewinn aus einer Talmud-Version wird dargestellt, und eine Probe der zu liefernden Arbeit aus (cm schon von Rabe ins deutsche übersetzten Tractat Be- ^hoth beigefügt (S. 304—317). Nach Beseitigung einiger gegen dieses Unternehmen erhobenen Ein würfe, wird besonders 284 — angemerkt, dass man durch Iiinzufüguug der Widerlegungen des Bartolocci die Serupel der römisch - katholischen Kirche, die den Talmud zum Feuer verdammt hat, zu beschwichtigen gedenke. Nochmals betheuert der Verf., dass er bei dieser Arbeit keine Neben-Rücksichten habe (S. 320. 329—334). Mit einigen Nachrichten über das Israeliten-Committee zu Warschau, welches das Getriebe der directen und der indirecteu Reform zugleich in Bewegung setzen will, schliesst der dritte Theil. Es folgt nun noch in 5 Paragraphen eine Art Auszug aus dem bisher Vorgetragenen, als Compendium für die „Reformatoren der Juden“, enthaltend: 1. Tabellen über jüdische Bevölkerung des Königreichs Polen (S. 343); 2. Angaben über die bürgerliche Verfassung der Juden (S. 350; Abgaben der poln. Juden S. 367); 3. Herzählung der Vorwürfe, die sich Juden und Christen gegenseitig machen (S. 369 etc.); Beantwortung von 18 vorläufigen Fragen, ehe man zu einer Verbesserung der Juden den Grund legen kann (S. 378—395. Die Kosten zu der Reform muss der Staat tragen, S. 386). eine Recapitulation der Mittel zu beiden Weisen der Reform. Es ist aus dem bisher Gesagten zur Genüge deutlich geworden, dass der Verfasser als den zu besiegenden Feind seiner Reform eine Art Judenthum aufgestellt hat, welches in dem Geiste des Talmud seine Wurzel haben soll, dessen schlechte Lehrsätze zwar zum Theil Repressalie gewesen (Chiarini II. 30. 34 , jedoch meist aus einer falschen Interpretation der Bibel, Aufnahme von Secten-Meinungen und dem verdorbenen Charakter der stolzen Verfasser herzuleiten sind (ib. 14, 21, 29, 34, 48). Die Mischna wird ausdrücklich von diesem Verdammungs-Urtheil ausgenommen (ib. 32, 297). Indess haben sehr viele, als Belege zu den sogenannten „Maximen“ aufgeführte Stellen der Gemara ihre Begründung nicht bloss in der Mischna, sondern in Mechilta, Sifra, Sifri, Toseftha, die theils älter als die Redaction der Mischna sind, theils dem mit R. Chija ablaufeuden Zeitraum angehören, nach welchem erst, dem Verf. zufolge, die schlechten Traditionen Zunahmen (ib. 17, 29). Namentlich sind viele Stücke der Agada aus älteren Schriften ausgezogen und gehören den Tanaim, oder Lehrern dér Mischna. Auch hat der Verf., bei seiner gräulichen Schilderung von R. Akiva, vermuthlich ver- gessen, dass dieser Mann der Gründer der Mischna ist (ib. 35, 36). Da endlich der Verfasser mehr als einmal erklärt, nicht Auszüge und einzelne Stellen — wiewohl in dem vorliegenden Buche nur Auszüge aus Auszügen gegeben werden, — sondern der Geist des Ganzen characterisire ein Werk, die Gemara aber die Erläuterung der Mischna ist: so müssen, dem Wesen nach, Mischna und Gemara (nebst den dazwischen gehörenden vier genannten Werken) Schuld oder Unschuld mit einander theilen. Wir erblicken aber in diesen Werken eine mit grosser Aufrichtigkeit und seltenem Fleisse zusammen - getragene Darstellung von dem Zustande, den Gesetzen, Einrichtungen, Sitten und Begriffen, überhaupt von dem gesamm- teu Leben der Juden, wie solches als Ergebniss einer mehrhundertjährigen Vorzeit sich gestaltet hat und hat gestalten müssen. Die Leiden dieses Volkes, sein Hass, sein Trost, selbst seine Fehler werden offen und ungeschmückt dargelegt. Einzelne Züge und Sentenzen werden von dem Sammler in der ursprünglichen Gestalt des rohen Materials aufgenommen, meist ohne Lob und ohne Tadel; unverständliche, oft nur unverstandene Aussprüche neben erhabenen Lehren, Muster von Tugend neben Handlungen, die unseren Begriffen zufolge verwerflich sind, finden sieh, wie in der Bibel, auch hier. Was über die Geschichte der Gesetze, der Lehrer und bisweilen auch des Volkes, die Tradition überlieferte, glaubte der Sammler nicht übergehen zu dürfen, — die Fortleitung des Gesetzes, die Sichtung des der Zeit und den Umständen angemessenen, der jedesmal lebenden Autorität überlassend, wie es stets bei den Juden der Fall gewesen, und was man zu allen Zeiten die mündliche Belehrung nannte, und mit Recht eiuem geschriebenen Compendium voizog. Der Talmud ist nicht die Quelle, sondern nur ein Monument des Judenthums, das zwar als das älteste verehrt und anerkannt wird, aber vieles von den Bestandtheilen des Judenthums (Gebräuche, Einrichtungen, Ideen) hat sich, dieser Verehrung unbeschadet, durch die Rabbiner selber modifizirt. Demnach vereinigen sich in dem Talmud — gerade wie in dem Pentateuch und der Mischna — zwei scheinbar widersprechende Dinge: Autorität und Nicht-Autorität. Eine Fortbildung und Modifizirung des Judenthums erhellt aus den jüdischen Schriften 2«ß seit dem 7. Jahrhundert, aus der Praxis und aus der Gestaltung der .Juden in verschiedenen Ländern. Dass in dem Talmud nicht jedes Einzelne verpflichtend sein könne, kann man, wenn es nöthig scheint, folgendermassen beweisen: Weil es in dem Talmud selbst nicht vorgeschrieben ist: da bei den Meinungen streitender Lehrer ausdrücklich nur Einer Seite beigepflichtet wird, so beweist schon der Talmud, dass vieles, was selbst bedeutende Talmudisten sagen, ungültig ist. Oft werden die Ansichten der angesehensten Lehrer zurück - gewiesen; 4. viele Sentenzen widersprechen sieh in praxi: widersprechende Receptionen werden unaufgelöst, aber als Widerspruch, hingestellt. 6. In dem Talmud selber heisst es sehr oft, dass diess und jenes ein Einzelner gesagt hat, und man sich nicht daran zu kehren habe. Zwei von dem Verf. beigebrachte Belege (II. 7. 8.) für die Behauptung, dass bei den Rabbinen der Satz des Widerspruchs nichts ausmache, beweisen nichts dergleichen. Da die „giftigen“ talmudischen Stellen sich grösstentheils in der Agada befinden, so beeilt sich der Verf. (ib. 45), von derselben zu erklären, sie habe, als Bestätigung der Halacha, verpflichtende Autorität. Da aber der Verf. nicht aus den Quellen geschöpft hat (I. 63,70,71, 277, 281—284; II. 43 — 56), und die meisten der von ihm citirten neueren Autoren das Gegenthéil sagen, so bedarf diese, durch den Talmud, R. Hai Gaon, Maimonides etc. widerlegte Behauptung, keiner weiteren Einwürfe. Schon die Mischna nennt viele Meinungen als nicht befolgt, vergeblich vorgetragen (nicht unnütz, wie II. 3 übersetzt wird). Warum aber hat der Verf., wenn Alles Autorität hat, nicht auch die zahlreichen schönen und guten, jenen schädlichen gradeweg widersprechenden, Stellen aus dem Talmud aufgeführt? Oder soll man hieraus folgern, nur das schädliche habe bei den Juden Autorität? Dann aber sind die Juden, nicht der Talmud, die Feinde der Reform. Üebrigeus beweist ein aus dem Talmud aufgegriffener sogenannter schädlicher Satz nur daun gegen das Judenthum, wenn er bei den Gesetzeslehrern (CpDlD) Gültigkeit, bei den jüdischen Morallehrern Eingang und in den Handlungen der Juden Leben erhalten hat. Nun vermissen wir aber diese Beweise bei allen gehässigen Beschuldigungen. Gegen die einzelne Meinung — 287 — im Talmud z. B., welche Beraubung eines goi gestattet, tritt nicht nur der Talmud selber auf, sondern die gegentheilige Pflicht lehren unzählige Rabbiuen, z. B. R. Moses de Concy (sefer mizvoth f. 61), der darüber Predigten hielt (ib. f. 132); R. Menaehem ben Salomon, Rabbiner in Perpignau, gestattet nicht die mindeste Ungerechtigkeit gegeu Christen, und verbietet, aus dem Irrthum eines Christen Vortheil zu ziehen (Schitta m'Kubezeth zu Tr. Baba Kama f. 178). R. Jona aus Gerona verlangt, dass jeder Jude redlich mit dem Christen umgehen solle (Sefer hajirah f. 42); vgl. hiermit sefer chasidim §. 426, 532, 600, 661, 1018. R. Bechai verbietet den Betrug gegen Christen und empfiehlt, dessen Irrthum nicht zu benutzen (Commentar zum Pentateuch, parascha Behar, ferner in Kad ha-kemach Buchstabe 5). Die genannten Rabbiuen lebten sämmtlich im 13. Jahrhundert, das an Verfolgungen der Juden nicht arm war. Es ist kein Fall aufzuweisen, dass Betrug gegen einen Christen oder gar Beraubung desselben vor einem jüdischen Tribunal Rechtfertigung gefunden hätte. Die letzte Autoritäten-Instanz würde also für diesen Fall das Resultat von Criminal-Acten sein, nicht aber ein Buchstabe, welcher tödtet. Da der Verf. weiss, dass die Praxis den Buchstaben stark modifizirt (11. 93. 118), so durfte er weder den Talmud, noch eine beliebige Reihe späterer Werke mit einer ausschliesslichen Autorität bekleiden. So oft aber der Verf. den Gebrauch der Juden besser findet als sein Citat ihn gelehrt, so nennt er diess entweder Heuchelei, oder Unwissenheit und Unjudenthum, ohne zu bedenken, dass der nämliche Vorwurf oder das nämliche Lob allen Religionen gemacht werden kann, indem überall das Buch der unveränderliche Boden, das Leben die vielgestaltige Frucht ist. Der Verf. selbst räumt eine Bewegung des Judenthums ein, wenn er von Praxis, Cabbala, verschiedenen Meinungen der Autoren spricht und gesteht, dass die deutschen Juden (II. 99. 109. 392} um einige Jahrhunderte vor den polnischen voraus sind. Demnach fallt die Behauptung von dem Stehenbleiben der Juden, die ohne diess durch die Litteraturgeschichte widerlegt wird (II. 292). Dass aus jüdischen Schriften und Gebeten, die bis zum 16. oder 17. Jahrhundert verfasst wur- den, Stellen zusammengeholt werden können, welche Erbitte- 288 rung gegen die Tyrannen der Juden, Hass gegen Rein und die christlichen Verfolger und schreckliche Verzweiflung über unausgesetzten Druck und Hohn athmeu, hat Eisenmenger unnöthiger Weise in zwei Quartanten dargethan. Von den Beweisen des Hasses, des Abscheues und der Gräuel, welche das herrschende Christenthum sieh gegen das duldende Judenthum erlaubt hat, liessen sich eben so viele Folianten Zusammentragen. Oder ist etwa an dergleichen, sowohl in Handlungen als in Schriften, bei dem Kampf der verschiedenen christlichen Glaubensmeinungen ein Mangel ? Zwar sagt man, nur bei den Juden sei ein Hass dieser Art zur Angelegenheit der Re- ligioii gemacht; allein von jeher, hat der Unterdrückte, ohne Annehmer und der rohen Willkühr preisgegeben, seine Sache zu der Sache Gettos machen müssen, obwohl auch herrschende . Parteien ihren Hass der Religion unterschoben und demnach anders Denkenden alle Seligkeit, allen Anspruch auf Erfüllung des gegebenen Wortes abgesprochen, die Schandthaten der Inquisition und die verderblichen Lehren der Jesuiteu gutgeheissen, und eine schmähliche Behandlung der Juden für religiöse Liebe ausgegeben haben. Die Deutschen, ein selbstständiges, civilisirtes, cluistliches Volk, hatten vor nicht langer Zeit die Bedrückungen eines ähnlichen Nachbarvolkes sieben Jahre zu ertragen, das Blut von wenigen Menschen war unschuldig vergossen worden, — und es ward der Hass gegen die Feinde in zahllosen Schriften gepredigt, das Kreuz gegen die Tyrannnen vertheilt und der Krieg ein heiliger genannt. So mögen wir denn gleiche Gerechtigkeit den Juden widerfahren lassen, die mit Rom und nachher mit den christlichen Staaten beinah in stetem Kriegszustände lebten; ihr Vermögen, ihre Rechte, ihr Schutz war unsicher, und die Unterdrückten, denen Alles genommen wurde und Alles genommen werden durfte, hätten gewissermassen Repressalien als Nothwaffe gebrauchen dürfen; nichts desto weniger ist es bei einem allgemeinen Nationalhass geblieben, aber das Verbrechen gegen Nichtjuden niemals gestattet, niemals im Namen des Judenthums begangen worden; eine „Reaction durch Verbrechen“ hat bei den Juden nicht existirt. Der Verf. aber, über diesen Punkt um geschichtliche Beweise ver legen, entblödet sich nicht, die schon von Wagenseil wider- 289 legte Verläumdung, dass die Juden an Ostern Christenkindor schlachten, oder schlachten dürfen, wieder aufzufrischen, ohne zu bedenken, dass, wo dergleichen Lügen nicht geglaubt werden, solche Unthatcn auch nicht geschehen. Mit diesen und ähnlichen, ursprünglich von Apostaten ausgegaugeneu Anschwärzungen, wollte man die Ausplünderung der Juden beschönigen. Wir glauben zwar nicht, dass der Verf. durch solche Anklagen den Pöbel für seine Pläne bewaffnen wolle, allein der Vorwurf des Fanatismus (II. 220) trifft gerade diesen nicht documentirten Hass gegen das Judenthum (1. 276. II. 13, 62, 70, 78, 83, 91, 95, 108, 109, 143, 147, 230,294,318,363), gegen die talnaudischen Lehrer (II. 9, 14, 34, 48, 290, 292), gegen die unschuldigen Gründer der Tosaphot (II. 36), von denen der Verfasser vermuthlich keinen Zug anzugeben weiss, und sogar gegen seine Opponenten (I. 336. vgl. ib. 45). Der Verf. begehet die Sünden, die er an Eisenmenger tadelt: er verschweigt das Gute, selbst da, wo es bei Eisenmenger zu finden ist, flicht ganz heterogene Sätze zu einem System zusammen, erfreuet sich des Lächerlichen, wenn es auch noch so einseitig ist (II. 9), wirft die Bücher, ohne Rücksicht aufA'lter und Autorität, untereinander, und stützt sich auf die Thorheiten zweier im 17. Jahrhundert verfassten Sammlungen (Jalkut), von denen das eine (Jalkut chadasch) während der grossen Juden-Verfolgungen in der Ukraine erschienen ist. Dass es mit der Reaction der Verbrechen nicht ganz richtig sei, scheint der Verf. selbst zu ahnen (I. 345 Note); aber gerade aus Eisenmenger (Th. II. C. 11) erfährt man, dass hierin die Praxis anders ist. Bei mehr Unparteilichkeit würden weniger Verdrehungen und Uebertreibungen entstanden sein, z. B. I. 210 , 300 , 303 , 329 , 351; II. 60, 62, 79, 82, 85—87 (dass die frommen Nichtjuden, die selig werden, nur jüdische Proselyten seien), 210; der Verf. würde seltener ohne Grund gescholten (z. B. I. 248) und uns mit lächerlichen Vorwürfen (II. 369—373) gegen die Juden verschont haben. Obwohl aber manche Fehler (1. 70, 83, 85, 271, 298, 301; H. 6, 15, 31, 37, 40, 75, 94 oben, 98, 135 Note, 182—184, 359, die Uebersetzung von Morenu, richtiger bei Bartolocci Bibi. rabb. Th. 3. S. 855) nicht auf Rechnung eines verblendenden Hasses zu setzen sein dürften und es sogar nicht au 19 290 Betheuruugen der Unparteilichkeit fehlt: so war es doch bei andern Punkten dem unbefangenen Sinne wiederum sehr leicht, das Richtigere zu treffen, z. B. I. 298 der Ausdruck □"IN oder D"IN 'Hp pN verglichen mit Tr. Jebamoth 63 a, oder II. 96 (dass der beste Arzt ein Candidat der Hölle ist), woselbst der Verf. fast Mitleiden erregende Folgerungen macht, auch hierin seinen Vorgängern aus dem 17. Jahrhundert — später giebt es für den Verf. keine Muster — nachschreibend, denen er es sogar abgelernt hat, die jüdischen Streitschriften gottlos (impies) zu nennen (I. 336). Ueberhaupt scheint der Verf. von dem Judenthum, dessen Theorie er liefert, nichts als die polemische Seite, und auch diese nur aus fremden Berichten zu kennen, daher die bei einem Forscher des 19. Jahrhunderts sonst unbegreifliche Animosität gegen alle rabbinische Schriften. Aber das Schelten auf vergessene Bücher ist eben so überflüssig, als das auf verehrte schädlich ist. Auf das Gewordene, Bestehende sollte der Reformator den durch die Geschichte geschärften Blick richten, um mit Benutzung des vorhandenen Vorraths von Einsicht, Kraft und Willen für eine schönere Zukunft aufzubauen; darum wünschen die Juden ihre Sache den Händen des Staatsmannes, der Sorge der Oeffentiichkeit anvertraut, nicht aber dem mit fertigen Systemen, religiösen Reformen und Censur heranrückenden Theologen, wohl merkend, dass erst seit der Entfesselung des Gedankens ihr Schicksal sich gebessert hat Die hunderte von Schmäh- und Streitschriften gegen die Juden haben bei aller dem Eisenmenger abgeborgten Gelehrsamkeit, bei aller Anstrengung, die der Fanatismus, bei allem Witz, den der Beistand der Menge erleichtert, der jüdischen Bevölkerung nichts dem Staat Nachtheiliges oder gegen die Christenheit verbrecherisch Unternommenes nachweisen können, und noch ganz neuerlich haben im Angesicht von ganz Europa englische Miuister, selbst als sie eine völlige Gleichstellung der Juden abzuweisen sich verpflichtet hielten, dem Charakter der jüdischen Gemeinde hohe Gerechtigkeit widerfahren lassen. Aber eben in den Ländern, die selber hinter der Gesittung zurückgeblieben sind, finden wir die Juden am meisten entwürdigt; während die Institutionen und die lebendige Wirksamkeit selbstständiger Völker, das Schlechte niederhalteud, — 291 — den Geist zu nützlicher Thätigkeit und segensreicher Frucht beleben, verarmt die Literatur eines seiner Selbstständigkeit beraubten, kränkender Vernachlässigung preisgegebenen und mit Noth und Verfolgungen kämpfenden Volkes, oder sein Geist wendet sich von der Wirklichkeit, die nichts Erfreuliches hat und nichts anzubauen darbietet, zu den Phantasien hin, wo allein noch Trost wohnt. Dass der Zustand der Juden in Polen, einem Laude, das selbst oft zerrüttet war, an vielen Orten traurig ist, kann Niemaud läugnen. Uebereinstinimeud mit dem Verf. haben bereits jüdische und christliche Schriftsteller die Vernachlässigung des Bibel-Studiums, den Mangel an ordentlichen Schulen und tüchtigen Lehrern, das frühe Heirathen, die übereilten Beerdigungen und das Umsichgreifen der Secte der Chasidim beklagt. Indessen dringt auch unter die polnischen Juden die Cultur ein, und die bisherigen Berichte über die genannte Secte fliessen meist aus feindlichen Quellen. Das Meiste, was der Verf. über die Erziehung vorbringt, ist aus Maimon’s Lebensbeschreibung, und doch hat seit jener Zeit sich an mehreren Orten Manches geändert, wie namentlich die neuere jüdische Litteratur Polens und die Verbreitung der Mendelssohnschen Uebersetzung des Pentateuchs beweisen. Diejenigen unter den vorgesch lagen en Verbesseruugsmitteln, welche gut sind, sind nicht neu, müssen aber, zumal bei der Armuth der Juden (II. 107, 192), mit einer Verbesserung des bürgerlichen Zustandes Hand in Hand gehen. Zu diesen Mitteln aber gehört keine von Aussen her sich aufdrängende und mit so grossen Vorkehrungen auf die Juden losgehende Reform, und schon den Widerstand des besseren Theiles der Gesammtheit ahnend, denunzirt der Verf. den Regierungen (II. 108) die Reichen, die Gelehrten und die Frommen, — denn gerade diese Classen zogen i. J. 1492 das Exil der spanischen Taufe vor, — und rätli, ein zweiter Antiochus Epiphanes, mit den Armen, Idioten und Irreligiösen gemeinschaftliche Sache gegen das Judenthum zu machen. Ausserdem sollen alle dem Verfasser nicht zusagende Bücher verboten, dafür aber mehrere Jesus betreffende Stellen, die seit Jahrhunderten aus den jüdischen Schriften weggeblieben sind, in dem Talmud wieder hergestellt, übersetzt und widerlegt werden. Heisst das nicht, dem durch den Argwohn des Kinderschlachtens — 292 — schon fanatisirten Pöbel das Messer gegen die Juden in die Hand geben? Sind das Wege zu der so gepriesenen freiwilligen Reform? (II. 186, 188, 245, 387). Haben jüdische Gelehrte nicht Grund, wenn sie sich den Plänen des Verf. widersetzen, und ist das Misstrauen des Volkes in dessen Institute nicht hierdurch gerechtfertigt? Wir halten uns überzeugt, dass auf solche Weise selbst das Gute, das Hr. Chiarini mit den Juden im Sinne hat, vereitelt werden muss, und die Juden sein Buch schon als eine Calamität betrachten. Was nun die Ucbersetzuug des Talmud, diesen grossen Hebel der Reform, anbelangt, so genüge hier, diese Aufgabe bloss von der reformatorischen Seite zu betrachten. Wie in dem vorliegenden Buche oft wiederholt wird, ist das Judenthum bis jetzt nicht entdeckt, eine solche Entdeckung nur von der Version des Talmud zu erwarten, und was bisher über diesen Gegenstnnd geschrieben worden, ohne Ausnahme (I. 170) ungenügend, einseitig, lückenhaft, falsch. Offenbar sollen diese Vorwürfe nicht die hier aufgestellte Theorie treffen, womit der Verfasser nicht bloss zu seinem Gebäude den Grund legt, sondern von welcher gerühmt wird (ib. 171), sie sei ausschliesslich Büchern von höherer Autorität, das will sagen: den Quellen entnommen. Allein wir haben in der Théorie du judaisme, wenige Stellen vielleicht ausgenommen, nichts gefunden, was nicht schon bei den Buxtorfen, Drusius, Carp- zov, Bartolocci, Eisenmenger, Basnage, Jahn, Maimon, Peter Beer u. A. weit vollständiger zu finden ist. Das ganze Capitel von der dogmatischen Reaction (I. 322) und die dreizehn Glaubensartikel (ib. 213) sind aus Buxtorfs synagoga. Bd. 1. S. 351 heisst es: nous avons suivi jusqu’ici Eisenmenger; der Rest aus der „Reaction der Verbrechen“ (351—359) ist aus R. Martin, Buxtorf, Bartolocci und nochmals Eisenmenger ausgeschrieben. Vieles giebt der Verfasser bloss lateinisch, wie es bei Buxtorf, Bartolocci, Jahn etc. zu finden ist, und nicht selten mit auffallender Eilfertigkeit, z. B I. 364, wo die lateinische Uebersetzung gar nicht zu dem hebräischen Original passt (vergl. Buxt syn. p. 302). Um den Geist der Raschi’schen Commentarien zu erkennen, wird (11. 149) der Leser auf Eisenmenger Th. 1. Cap. 9 verwiesen; allein in diesem Capitel werden nur vier Stellen aus Raschi’s bibli- — 293 — sehen Erklärungen angezogen (Eisenin. I. 453, 470, 472, 486), die sanimt und sonders nicht bloss älter als Raschi sind, sondern auch gar nichts Bemerkenswerthes offenbaren. Ver- muthlich hat der Verfasser nur nach der Ueberschrift besagten Capitols: „Von der Juden verkehrten Auslegung der heiligen Schrift“ dort etwas zu finden gemeint. An vielen Orten sind nicht bloss die Vorgefundenen Sachen, sondern selbst die auf Quellen hinweisenden Citate bekannten subsidiarischen Werken entlehnt. Bd. 1. S. 204 fehlt der Anfang der angeführten Stelle, und ein Blick in den Talmud würde gezeigt haben, dass daselbst von keinem Vorzüge der Gemara vor der Bibel die Rede ist; das vollständigere s. bei Eisenm. Th. 1. S. 330. Ebendaselbst S. 206. Note 2 ist das hebräische Buch, aber nicht die Seite angegeben; siehe Eisenm. I. 56. Ebendas. S. 210 heisst es: Employons-nous la raillerie contre eux? ils (les rabbins) out cette maximc pour s’exercer ä la supporter: □X •. • • „Si quelqu’un te dit qu’une de tes oreilles est une oreille d’âne, n’y fais pas attention; et s’il insiste en disant: tes deux oreilles sont des oreilles d’âne, prépare-toi un frein (Béreschit Rabba, sect. 45).“ Von Leuten mit einem Eselsund einem Menschenohr findet sich aber in der erwähnten Stelle des Bereschith Rabba keine Silbe, und für die possierliche Uebersetzung und die ganz unpassende Anwendung jenes Sprichwortes hat sich der Verfasser bei Buxtorf (Lex. rabb. p. 33) zu bedanken. Ebd. S. 264. Note: „cf. Yoma 84. 1.“ Diese talmudische Stelle hätte nothwendig erwähnt werden müssen; aber das eilfertige Citat deutet auf Eisenm. II. 513, und wenn mau daselbst S. 495—512 nachliest, leuchtet dem Unbefangenen sogar die Rec htfertigung über den jüdischen Eid ein. Ebend. S 279 sagt das französische mehr als der mitgetheilte Text, vergl. Eisenm. 1. 879. Ebend. S. 286 unten: „nous citons de temps en temps le Zohar; car“ u. s. w.; allein die beiden Stellen sind bei Eisenm. I. 424 und II. 453. So ist ferner ebendaselbst S. 292 (4te Stelle) erst bei Eisenm. I. 679, 681 verständlich; S. 293 ist T2 unrichtig durch signi- tient übersetzt, wie bei Eisenm. II. 242; S. 296 oben fehlt die Quelle, s. Eisenm. I. 589. Ebendas. S. 298, Note 1 sind sämmt liehe vier Citate — von denen zwei unrichtig sind — in Eisenm. II. 190 zu finden: in der Note 4 geben die Worte „in Tosephot“ keinen Sinn; siehe aber Eisenm. I. 597. Seite 307 sagt der Verfasser: „Nous conjeeturons etc.“, obgleich alles in Eisenin. I. 98 gedruckt zu lesen ist. Ebendas. S. 338 Note 3: ,j’extrais ceci et presque tout ce qui suit (338—340) de l’explication des cinq livres de Moise par R. Becliai, ouvrage qui tire de la pratique des Juifs autant d’autorité que les livres obligatoires en ont du coté de la religion.“ Abgesehen davon, dass R. Becliai nicht als Bibel-Erklärer, sondern als Gesetzlehrer, so wie dessen Zeitgenosse R. Menachem (8. oben S. 287) eine Autorität für die Praxis ist, so hat der Verfasser demselben auch bloss nach dem Beispiele Eisenmengers, bei welchem sämmtliche Excerpte zu linden sind (Th. 2. S. 480, 481, 486), den Vorzug eingeräuint. Die vier Reihen: „Au contraire pas“ (S. 340) sind vom Ver fasser, nicht von R. Bechai. Ebend. II. 79 ist dor Text nebst den unbehülfliehen Citaten aus Eisenm. I. 619 und 11. 580, 585. Ebend. I 362 heisst es „selon les midraschim“, ohne Angabe der Stelle; s. die Ursache beiBuxtorf (Lex. rabb. p. 698). Hierdurch wird es begreiflich, warum so viele Gegenstände unberührt geblieben, andere so mager und unbefriedigend, einige so missrathen sind; warum die Citate des Sohar nur auf die von Eisenmenger benutzte Sulzbacher Ausgabe passen, während dem Verfasser (II. 215) die Ausgabe von Cremona zu Gebote stand; warum aus der reichen Fundgrube des Jalkut Schimeoni nichts geliefert wird, das nicht schon von Eisenmenger herbeigeholt worden. Wir glauben dieserhalb ganz und gar nicht zu irren, wenn wir auch den Fund vieler andern beigebrachten Stellen nicht der in der Note vermerkten Quelle, sondern jenen Hülfsbüchern des 17. Jahrhunderts zueignen, namentlich Bartolocci (Chiarini I. 211, 229, 255 = Bart. III 606, 607, 589, 265), Buxtorf (Ch. I. 54. Note2 = Buxt. Lex. p. 584; I. 58 = Buxt. abbrev. 28; I. 316 = Lex. 1793; I. 360 = Lex. 45; I. 361, Note 2 = Lex. 439; I. 371 zwei Stellen = Lex. 814; I. 372 = Lex. 1592, wieder Verfasser selber andeutet; II. 22 = Lex. 1852; II. 32 = Lex. 1714; II. 40 = Lex. 256; II. 96 = Lex. 120), hauptsächlich aber Eisenmenger. Man vergleiche z. B. Chiarini, Bd. I. Eisenmenger. Chiarini, Bd I. Eisenmenger. Seite Theil Seite Seite Theil ßeite 8 I- 608 291 n. 586 55h Stellen . - 454 293 - 242 56/ 296, 2 Stellen . - 590. 591 58, Note . 457 297 - 190 III. 437 298 - 191 133 1 329 304 i. 660 135, Note . 329 305 632 157 - 295 308 559 158 330 310 667 193, 2 Stellen . • 435 311 n. 206 200 II. 375 325, 2 Stellen . i. 449 208, 2 Stellen . I. 299. 329 342 ii. 602 204, 3 — - 330-332 343 - 604 210 II. 289 345 594 232 I. 326 346 • 595 248 324 349 - 196. 204 263, 2 Stellen . {*• 622 349, Note 1 - 212 ln. 580 350 - 192 271 i. 341 358 I. 566 272 etc « 363 363 n. 847 277 ii. 842 364 - 841 288, 2 Stellen . 595. 718 367 - 993 ln. 5 368 993 289, 2 — i. 578 Bd. U. Bd. II. 4 i. 315 71 n. 209 7 • - 315 86 - 267 13 . . 316 93 i. 348 15 • 297 94 n. 602 28 - 314 190 - 212 36 . 314 218 etc, 12. 13. 36, Note 2 . . 108 225, 8. S. 15. 40 - 452 Demnach fänden sich in dem vorliegenden Werke wenigstens 100 Stellen aus dem Talmud und andern rabbinischen Schriften, die trotz 120 Citatcn nicht aus den Quellen, sondern aus den Vorgängern des Verfassers herbeigeholt sind; hierunter über 80, die sich vollständiger auf einigen 70 Seiten des 2100 Seiten starken Eisenmengerschen Werkes vorfinden. Einen grossen Theil seiner Theorie hat der Verfasser cingeständlich jenen Autoren abgeborgt. Was bleibt also, nach Abzug einiger aus der Luft gegriffener Hypothesen, als Ergebnis» eigener, unbefangener, neuer Forschung? Wir wagen nicht eine kategorische Antwort auszusprechen; aber es scheint uns, das Judenthum — wofern es an demselbigen etwas zu entdecken gieht — war schon am Schlüsse des 17. Jahrhunderts entdeckt, oder es ist noch zur heutigen Stunde unentdeckt. Die aufgestellte Theorie ist mithin entweder überflüssig oder unbrauchbar. Nach der letzteren Voraussetzung müssen wir uns, bis aut weiteres, alles Urtheils über den Talmud und die möglichen Wirkungen einer Uebersetzung desselben begeben; nach der ersteren aber dürfte die reformatorische Hoffnung, dass die Juden über dessen Inhalt erröthen werden, in Rauch aufgehen, da Alles, was Judenfeinde nur Kränkendes und Lächerliches haben auftreiben können, seit länger als 100 Jahren massenweise zur Schau gestellt ist, ohne dass solchen Mitteln eine Reform gelang. Nur als ein literarisches Unternehmen, frei von einseitigen Tendenzen, kann mithin eine Talmud- Version empfohlen werden; einer getreuen verständlichen Uebersetzung wünschen wir das beste Gedeihen, und die guten Wirkungen einer solchen Arbeit werden indirect nicht ausbleiben. Was endlich das eigentliche Ziel betrifft, zu welchem der Verfasser die Juden und deren Juden thum hinführen will, so scheint er darüber noch nicht recht im Klaren zu sein, vielleicht entschlossen, erst die Wirkung neuer Rabbinerschulen, der Talmud-Uebersetzung, der religiösen Disputationen u. dgl. abzuwarten. Ungeachtet die mündliche Lehre theil weise beibehalten werden soll (Chiarini théorie 1. 169; II. 53, 54, 195, 297; desselben observations sur un article etc. S. 32), fordert der Verfasser eine Rückkehr zum Mosaismus, also eine Art Karäerthum, das sich ebenfalls eine Tradition zu schaffen genötigt gesehen. Von einer Rückkehr der Art hat bis jetzt die Geschichte kein Beispiel aufzuweisen, auch giebt es überall nur Fortschritte oder Verfall, keine Rückkehr zum Alten. Die Zahl der Karäer, obgleich der Zeit des werdenden Talmud entsprungen, blieb von jeher sehr klein, die der Samaritaner ist bald auf Null reduzirt; Beweise genug, dass sich kein Volk dem starren Buchstaben leibeigen hingeben lässt. In der That war, wie die Bibel und die Geschichte beweisen, der Mosaismus, als Ganzes, nie in Vollzug gesetzt worden, und die Befugnis« der Autorität einer jeden Zeit — Propheten, Priester, Könige, Sauhedriu u. s. w. —, nach dem Geist der bestehenden Institutionen abzuändern, ist von jeher zugestanden uud stets geübt worden. Ein solches Zurückführen erscheint demnach widergesetzlich, nachtheilig, unmöglich, uud da der Verfasser nicht alle Gesetze Mosis mag, sondern eine bald nach dem Geist der Bibel und bald nach dem Geist des 19. Jahrhunderts getroffene Auswahl, so bereitet er einen willkührlichen, bis jetzt namenlosen Mischmasch, der, vieler Gestaltungen empfänglich, neue Secten, neuen Zwist, neuen Fanatismus wecken wird, wenn er anders Kraft hat, selber die Augen aufzuschlagen. Die jüdische Bevölkerung, durch eine 1700jährige Erfahrung berechtigt, in dergleichen reformatorischen Zurüstungen eine Gelahr für ihre Gewissensruhe und ihr bürgerliches Wohlergehen zu ahnen, wird sich auch gegen wünschenswertheVerbesserungen sträuben, da sie sich als Bestandteile einer feindseligen Reform «ankündigen, und hierdurch allein dieetwanigeMitwirkung unterrichteter Juden lähmen. Wir können demnach weder der aufgestellten Theorie noch den einzelnen Schlussfolgen beipflichten, weder das System noch das Ziel der Reform gutheissen, weder in der Talmud-Version ein notwendiges Verbesserungsmittel, noch in den polemischen Zuthaten eine Wohltat anerkennen. Dennoch ist in dem vorliegenden Werke Gutes geleistet und beabsichtigt. Das Streben des Verfassers, ohne Nebenabsicht für das Wohl eines vernachlässigten Volkes beharrlich sorgen zu wollen, verdient Achtung und Dank, uud durch wissenschaftliche Beleuchtung solcher Gegenstände kann die Sache der Menschheit nur gefördert werden. Die jüdische Angelegenheit bat selbst bei den Organen einer feindseligen Meinung Fortschritte gemacht. Mau hat gelernt, dass nicht jedes gedruckte jüdische Buch eine Autorität, nicht jede Autorität von gleichem Range, und dass manche Sage veraltet ist; es wird ein Unterschied zwischen dem gegenwärtigen Brauch und dem Inhalt einzelner Stellen der Autoren, zwischen polnischen und andern Juden eingeräumt; es wird eingestanden, dass Eisenmenger parteiisch und ohne Urtheil war, dass die getauften Juden meist befangen, und Verfolgungen eben so zweckwidrig sind als Bekehrungspläne. Dahingegen hat man eingesehen, dass ohne gründliches Studium, ohne wirkliche Kenntniss des Geiste? und der Bedürfnisse der Juden, nur unreife Massregeln zu Stande kommen; dass den Juden gute Schulen und Lehrer, Unterricht in der Landessprache, Anstellung tüchtiger Volkslehrer, Beschränkung der Autonomie, Aufmunterung der Fortgeschrittenen Noth thue: dass die Verbesserung des Zustandes der Juden mit dem Staatswohl innig Zusammenhänge, und die endliche jüdische Eiuancipation das Ziel aller Bestrebungen sein müsse. Wenn den Juden ein ausdauerndes Wohlwollen ent- gegeukommt, so werden die guten Früchte nicht aus b/eiben; wenn die weisen Massregeln aufgeklärter Regierungen, auf die Tendenzen und Bedürfnisse der Zeit gerichtet, und ungetrübt durch priesterliche Engherzigkeit, durch gleiche Gerechtigkeit alle Klassen der Unterthanen mit gleichen Banden an das Vaterland fesseln, dann müssen vor dem Glanz der neuen Liebe die Excerpte aus versöhnten Rabbinen erbleichen.